HANS-JOACHIM LÜDDEKE
Skulpturen - Plastiken -Objekte -sculpture-plastic-objects



Hintergrund
Von Beruf bin ich Arzt und Wissenschaftler. Kreatives Arbeiten war für mich stets Ergänzung und Ausgleich. Erst nach Beendigung meiner medizinischen Tätigkeit fand ich den Raum, diese Seite mehr zu entfalten. Mich reizt plastisches Arbeiten – sei es das Herausarbeiten aus massiven Materialien wie Holz, Stein oder Metall oder der elementare, minimalistisch-konstruktive Aufbau von Raum. Da ich ebenso die Arbeit mit Texten liebe, hier der Versuch, meinen Arbeitsprozess in Worte zu fassen.


Die Lindenholz-Figurengruppe: Eine Studie


  • Ich arbeite intuitiv. Vor einer Arbeit habe ich natürlich das Material und eine Vorstellung, aber keine Skizze
  •  anfangs hatte ich eine Scheibe eines großen, sehr stattlichen Lindenholzbaums knapp oberhalb der Wurzel. Der Stammdurchmesser lag bei etwa 1 m. Ein Querschnitt ist an sich schon eine Herausforderung. Die Arbeit an einem Stammabschnitt eröffnet längs mehr und einfachere Möglichkeiten. Der Baum war bei einem Sturm gefallen. Es sollte eine figurative Holzplastik sein, die nicht naturalistisch ist und Rätsel aufgibt. Natürlich kann bei solch einem Querschnitt nur eine bestimmte Figuration realisiert werden. Ich hatte an eine sitzende Figur mit gebeugtem Rücken und angewinkelten Beinen gedacht. Ein unregelmäßiger Kreisquerschnitt eines unteren Baumabschnittes kann eben keine gestreckte Figur ergeben. Mit dieser vagen Idee begann ich zu arbeiten. Ich kann mich überwiegend nur ohne festes Konzept auf das Material einlassen.
  • Was war das für ein Material? Ein Baum, der an die 100 Jahre alt war und vielen Menschen in dieser Zeit an warmen Tagen Schatten spendete. Menschen, die sich unter ihm niederließen. Um die Landschaft zu genießen. Oder einfach nur um Ruhe zu haben. Gab es da auch Paare mit ihren Berührungen und Träumen? Zu Beginn der Arbeit hatte ich nicht solch klare Visionen. Aber ich bin mir sicher, dass in die Entdeckungsreise meiner Arbeit intuitiv solcher Gedanken und Gefühle eingeflossen sind. Einfacher gesagt: ich habe einfach versucht, mich auf das Holz einzulassen. Nicht als Rohmaterial, sondern als Visionspartner. Intuition und Kreativität verstehe ich als eine Zwiesprache mit uns selbst und eine Diskussion mit dem Objekt. Im Alltag leben wir auf Oberflächen. Wir wissen aber, dass es tiefere Schichten unter uns gibt. Meistens können wir uns nicht mit ihnen verbinden. Manchmal gelingt es und oft nur für einen kurzen Moment. Musik, ein Foto, eine flüchtige Erinnerung oder auch nur ein Moment der Ruhe können helfen.
  • Das alles ist noch keine Kunst. Aber es kann auch Kunst werden.
  • Zuerst habe ich einen V-förmigen Abschnitt in die Baumscheibe eingesägt. Mit der Spitze etwa bis zur Mitte. Das war der Ausgangspunkt. Dann hat mich der Baum weitergeführt. Da waren idealisiert einfach nur die angewinkelten Beine einer Figur. Aber welche Figur? Es konnten zwei sein: eine rechte oder die linke. Wenn ich eine von beiden realisieren wollte, musste die andere entfernt werden. Beim Arbeiten mit massivem Material wie Stein und Holz ist Entfernen ein schwieriger Akt. Es ist einfach ein Verlust. Man kann zu viel entfernen und es nicht wieder rückgängig machen. Überraschend tauchte die verrückte Idee von zwei Figuren auf. Dazu reichte aber das Material nicht. Oder vielleicht doch? Also einfach weiter arbeiten und nicht zu viel entfernen. Alles, was ohne Zweifel dargestellt werden sollte konnte ich ja vorantreiben. Es sollte figurativ darstellend sein, deshalb brauchte ich eine Kopfpartie. Das war ohne Zweifel so. Wegen der runden Grundform schwebte mir vor, dass der Kopf abgeneigt zwischen den Armen dargestellt sein sollte. Aber es wurde erst einmal ein roher Kopf.
  • Die Grundform mache ich mit einer elektrischen Kettensäge. Die ist leise, lässt sich schnell unterbrechen, dringt tief ein, erleichtert Pausen, die ich unbedingt immer wieder zum Schauen brauche. Allerdings ist sie grob und der Schnitt verhält sich quer zur Faser anders als längs. Der Stammabschnitt ist natürlich eine Herausforderung, weil die langen Schnitte parallel zur Faser erfolgen müssen. Mit der Handsäge und dem Klüpfel würde es auch gehen, das Schlagen kann aber auch schnell zerstören.
  • Ich muss einschieben, dass ich mir über Proportionen anfangs keine großen Gedanken mache. Es muss schon in die Grundform hineinpassen, aber ich habe keine Regeln, an die ich mich halte.
  • Es gibt durchaus Regeln, die dann im Prozess der Arbeit entstehen aber sie sind nicht von vornherein da. Klassische Proportionen interessieren mich gar nicht. Es muss innerlich stimmen so wie das Material spricht und wie es meine Intuition mitschreibt. Aber ich muss vorsichtig vorgehen. Ich habe oft nur einen Versuch. Deshalb behandle ich das Material mit großem Respekt. Ich versuche, mich von ihm leiten lassen. Ein zweiter Aspekt, der schon zu Beginn der Arbeit eine Rolle spielt, ist die Qualität des Materials. Wahrscheinlich lernt man als Holzbildhauer, dass das Material ausgesucht sein muss, keine Schäden haben darf, dass Äste oder Risse zu vermeiden sind und dass das Holz ausreichend gelagert und getrocknet ist. Das ist mir alles ganz egal. Das Holz lebt und ich lebe. Das Holz lebt auch dann weiter, wenn es eine figurative Form erreicht hat. Es hat einfach ein Eigenleben. Ich kann es also gar nicht komplett manipulieren und umformen und es ist mir auch nicht wichtig. Ich versuche  ja zu verstehen, was es macht und wie es sich darstellen kann.
  • Allerdings will ich einschränken, dass diese Zwiesprache mit dem Material auch kritisch sein kann. Ein Spalt oder Riss im Holz kann ausgesprochen produktiv und kreativ wirken. Es ist eben die Sprache des Holzes. Aber es kann für mich auch zerstörerisch sein. Dann bin ich ehrlich gesagt übergriffig und kämpfe mit dem Material. Vielleicht, weil ich nicht genug verstanden habe. Sicher sind manche Aspekte meiner Arbeit Zufall. Aber das scheint mir genau das Wesen der Inspiration. Ich bin dann nicht von meinen Gedanken geleitet, sondern von meinem Sehen. Ich entdecke einfach immer wieder Möglichkeiten. Eine Möglichkeit führt mich zur nächsten. Das ist kein konsequenter Prozess, sondern fast immer eine Kette an Versuchen.
  • Nach der rohen Grundform mache ich weiter mit den Durchbrüchen im Mittelteil. Ich arbeite dabei natürlich von beiden Seiten und hoffe, dass sich die Sichtebenen treffen. Man könnte Bohrer als Hilfsmittel verwenden, aber ich brauche das nicht.
  • Noch immer weiß ich nicht, ob sich tatsächlich eine Doppelfigur realisieren lässt. Aber dann habe ich plötzlich diesen Perspektivwechsel: ich kann den Blick auf die eine Figur richten und ich erkenne sie trotz der rohen Form schon recht deutlich. Und dann kann ich die Perspektive um 180° drehen und die zweite Figur erkennen. Aber beide gehen in einander über. Lässt sich das wirklich realisieren? Auf Details wie beispielsweise Hände oder Füße muss ich natürlich verzichten. Aber das wäre ja auch schon eher wieder naturalistisch. Die Figurengruppe soll nicht nur figurativ wirken, sondern auch eine Bedeutung als bloße Zeichen haben. Sie soll immer noch eine Brücke zur Abstraktion behalten. Und so entsteht allmählich das vor meinem Auge, was mir das Unterbewusste diktiert. Ich erweitere die Durchbrüche in der Mitte und bin immer noch im Zweifel, ob dieses entstehende Konzept realisierbar ist. Jetzt wird die Idee schon klarer erkennbar: es sind zwei Figuren, die sich umarmen. Gleichzeitig ist es aber auch eine optische Täuschung, weil tatsächlich ja immer nur eine Figur komplett erkennbar ist. Und es ist eine abstrakte Figur, die nicht in der Realität existieren kann. Es drückt ein Gefühl aus, dass vom Zweifel überlagert ist. Und es hat etwas Symmetrisches. Das löst bei mir allerdings Unbehagen aus. Alles Symmetrische geht zu sehr ins Perfekte. Damit besteht auch die Gefahr, dass es kitschig wird. Ich will verrätseln und keine eindeutigen Interpretationen liefern. Der Betrachter soll noch viel Spielraum haben, etwas selbst zu entdecken. Ich bin mir nicht sicher, ob es richtig ist, die Figurengruppe in die menschliche Mann-Weib-Dichotomie zu entwickeln, ich probiere es aber aus. Damit möchte ich in erster Linie die Symmetrie unterwandern. Zuletzt habe ich das große aufgeschobene Problem: Was soll ich mit dem Kopf machen, der immer noch aufgerichtet ist. Ich habe ich mich entschieden es so zu belassen. Damit ist es aber anatomisch niemals korrekt zu realisieren. Eine schwierige Entscheidung. Aber es soll ja nicht anatomisch korrekt sein. Es soll ein Zeichen sein, das Gefühle hervorruft. Anfangs besteht noch die Möglichkeit jeder Figur einen eigenen Kopf zu geben. in der weiteren Arbeit entscheide ich mich dafür, nur einen Kopf zu verwenden. Schwierig ist die Position des Kopfes. Gesichtszüge soll mein Objekt nicht haben. Dann würde es zu viel von seinem Zeichencharakter verlieren. Das Detail kann das Rätsel zerstören. Die offensichtliche anatomische Ungenauigkeit ist ein Stolperstein. Letztlich bearbeite ich den Kopf noch so, dass er leicht schräg steht. Auch, um die Symmetrie erneut zu brechen. Eine Figur schaut nach unten, Die zweite nach oben. Warum eigentlich? Vielleicht hätte ich noch viel mehr Fragen realisieren müssen.
  • Mir ist durchaus auch klar, dass die Figurengruppe als Zeichen eine umgekehrte Herzform hat. Ich will mit dieser Assoziation spielen, sie aber nicht nah legen. Da ich hier mit großen Gefühlen umgehe, muss ich verwischen. Der Ausdruck von Herzlichkeit, Innigkeit, Verschmelzung, Liebe, Entgrenzung und (optische) Täuschung ist eine ziemlich verwischte Gefühlsmischung. Gleichzeitig hat die entstandene Figur etwas Körperhaft Sinnliches. Diese Sinnlich erreiche ich nur mit massivem Material. Baue ich bei anderer Gelegenheit konstruktivistisch Figuratives auf, entsteht zu meinem großen Erstaunen Raum. Aber noch ist es mir nicht gelungen, damit plastische Sinnlichkeit zu schaffen.
  • Schleifen ist etwas Langweiliges mit dem ich mich nicht zu lange aufhalte. Außerdem darf es ja nicht perfekt werden. Ich bearbeite schließlich die Oberfläche mit Leinöl, streiche mit dem Pinsel auf und reibe dann alles mit den Händen ein. Dann ist da das Gefühl des körperlich Plastischen. Das Objekt, das sich von mir loslöst. Das ich nie beherrscht habe. Es ist immer noch Teil eines Baums. Eines Baums, der in einer Sturmnacht gefallen ist. Ein Baum, der vielleicht immer wieder Gefühle beschützt hat.
  • Ich habe diesen Text jetzt ausnahmsweise verfasst. Normalerweise sollte ein Objekt für sich sprechen. Es sollte vom Schaffenden nicht interpretiert werden. Es sollte die intime Zwiesprache mit dem Betrachter zulassen. Je mehr ein Objekt den Betrachter zu eigenen Assoziationen, Vorstellungen und Träumen bewegen kann, desto besser. Ob mir das gelungen ist? Einiges würde ich beim nächsten Mal anders machen. Aber da sind die tiefen Schichten, die manchmal zu uns durchbrechen, sich mit uns verbinden und unsere Hände führen können.
  • Natürlich spiele ich mit dem Gedanken, meinen Objekten einen Titel zu geben. Ich könnte es hochtrabend „die Illusion der Liebe“ nennen. Aber es ist ja gar keine Illusion. Letztlich überwiegt das Gefühl, dass ich den Betrachter mit einem Titel zu sehr einenge. Deshalb sind Titel für mich schwierig. Auch wenn ich dieses Objekt hergestellt habe, ist es doch nicht meins. Es führt ein Eigenleben und kann mit jedem Betrachter in seiner Sprache sprechen. Vielleicht.


Background
By training, I am a physician and scientist. Creative work has always been a complement and counterbalance for me. Only after retiring from medical practice did I find the space and time to fully explore this side of myself.
An Example of My Process: The Figural Group
I’m drawn to sculptural work—whether carving directly from solid materials like wood, stone, or metal, or constructing spatial forms through minimalist, elemental designs. Since I equally love working with text, here’s an attempt to articulate my creative process in words.
Intuitive Creation
I work intuitively. While I begin with the material and a vague idea, I avoid sketches or rigid plans.
The Lindenwood Figural Group: A Case Study
My starting point was a cross-section of a massive linden tree trunk (nearly 1m in diameter), felled during a storm. The wood’s circular form dictated constraints: a non-naturalistic, enigmatic figure had to emerge from its limits. I envisioned a seated form with a curved back and bent knees—a shape harmonizing with the trunk’s irregular roundness. Yet I began without fixed concepts, letting the material guide me.
The Material’s Story
This century-old tree once shaded generations of people—weary souls resting in the shadow, lovers  with touches and feelings beneath it, Though I lacked explicit visions of its past, I’m certain these latent memories seeped into my work. For me, intuition is a dialogue: with oneself, with the object. Daily life skims surfaces, but art plunges deeper. Fleeting moments—music, a photograph, a memory—sometimes can help bridge that depth.
This isn’t yet art. But it could become art.
Process & Challenges
I started by sawing a V-shaped notch into the trunk, reaching toward its center. The wood suggested two possible figures: one left, one right. Removing either felt irreversible, like a loss. Then came the mad idea: two intertwined figures. But was there enough material? I advanced what felt certain—a rough head, tilted between implied arms, emerging from the round form.
I shape broadly with a chainsaw (quick, deep, but crude), then refine. Handsaws and mallets risk splitting the grain, especially in crosscuts. Proportions? No rules—only what feels  right. The material’s flaws—knots, cracks—aren’t obstacles but collaborators. Wood lives; it resists total control.
Sometimes, this dialogue turns adversarial. A crack might inspire—or defy me. Chance plays its role, but isn’t that the nature of inspiration? I’m led by sight, not thought, discovering possibilities step by step.
The Dual Figure Emerges
As I hollowed the center, a perspectival trick revealed itself: viewed one way, a single figure; rotated 180°, its twin. They merge impossibly—an embrace that’s also an optical illusion. Abstraction was key; naturalism would spoil the riddle. Symmetry discomforted me (too perfect, too kitschy), so I skewed the shared head, one face angled up, the other down. Anatomic accuracy mattered less than evoking emotion.
The silhouette hints at a heart— not intentional, but  overt. The piece embodies contradictions: tenderness and doubt, fusion and illusion, sensuality and abstraction. Constructivist works I’ve built create space, but only mass like this delivers physical presence.
Finishing & Letting Go
Sanding bores me; perfection isn’t the goal. A linseed oil rub brings the grain alive under my hands—a final communion before release. The object detaches, still part of the storm-felled tree that once sheltered dreams.
On Titles & Interpretation
I considered pretentious names ("The Illusion of Love"), but titles constrain. This object isn’t mine anymore. It speaks its own language to each viewer. Maybe it succeeds if it stirs private associations, dreams, or questions.
Next time, I’d do things differently. But these depths—when they break through, when they guide our hands—are what matter.